Gießen, 09.08.2024 (PresseBox) – Ihr Promotionsthema ist aktueller denn je: Vier Jahre lang hat sich Dr. Lisa Kaufmann mit der Nachverdichtung von Zeilenbausiedlungen der Nachkriegsmoderne beschäftigt. Hinter dem etwas sperrig klingenden Thema steckt eine aktuelle Debatte: Wie schaffen Städte bezahlbaren Wohnraum und stabilisieren den Mietmarkt? Wie können bestehende Mehrfamilienhäuser altersgerecht gestaltet werden?
„Deutschland und Mitteleuropa sind fertig bebaut. Wir sollten das, was wir haben, anpassen und nicht noch mehr Grünflächen versiegeln. Der urban sprawl, also das Ausdehnen der Städte, muss beendet werden“, sagt Kaufmann. Einen wichtigen Beitrag, die vorhandene Wohnbebauung zukunftsfähig zu machen, leistet ihre Doktorarbeit. „Die Zeilenbausiedlungen wirken auf den ersten Blick banal, doch ein genauer Blick auf sie lohnt sich. Ich finde es spannend, im Alltäglichen das Besondere zu finden“, erklärt die Architektin.
Die 34-Jährige aus Butzbach hat über das Promotionszentrum für Ingenieurswissenschaften (PZI) am Forschungscampus Mittelhessen promoviert. Insgesamt drei Betreuende, von der THM, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Frankfurt University of Applied Science begleiteten ihre Arbeit. Mit ihrer Promotion verknüpft war eine Stelle als Lehrbeauftragte an der THM im Studiengang Architektur.
„Als ich die Stelle an der THM angenommen habe, hat mir vor allem die Lehre viel Spaß gemacht. Wir haben die Studierenden im Modul Entwerfen und Gebäudekunde betreut. Ihnen einige Werte mit auf den Weg geben zu können, war sehr bereichernd“, sagt sie. So hätten die Studierenden nicht nur über Baustoffe gesprochen, sondern beispielsweise auch darüber, dass keine Nachtschichten notwendig sind, um einen guten Entwurf abzugeben.
Im Laufe ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit stellte sie zunehmend fest, wie wichtig auch die Forschung in der Architektur ist – die bisher eine zu unbedeutende Rolle spiele, wie sie sagt. „Um die Stadt der Zukunft zu entwickeln, braucht es Interdisziplinarität. Expertinnen und Experten aus vielen Fachbereichen, wie Bauingenieurswesen, Stadtplanung, Soziologie, müssen zusammen arbeiten und forschen.“
Deshalb ist es Kaufmanns Wunsch, auch weiterhin in der Architekturforschung tätig sein zu können. Aktuell nutzt sie auf einer Post-Doc-Stelle an der TU Wien die Gelegenheit, ihr Dissertationsthema weiter zu vertiefen. Parallel dazu hat sie seit vergangenen Dezember daran gearbeitet, ihre Doktorarbeit zu publizieren. „Mein Buch ist im Juli als Open-Access-Publikation erschienen. Die Hochschulbibliothek hat das durch eine großzügige Förderung möglich gemacht“, erklärt Lisa Kaufmann. Sie adressiert mit ihrer Publikation nicht nur Studierende, die sich mit Nachverdichtung im Wohnbau beschäftigen, sondern auch Praktikerinnen und Praktiker, beispielsweise in Stadtplanungsämtern.
Für die Zeilenbausiedlungen gilt laut Kaufmann, dass die teils vulnerable Bewohnerschaft geschützt werden muss. Die Erkenntnis aus ihrer Befragung und Betrachtung verschiedener Siedlungen, die in der Nachkriegszeit entstanden sind: Ein lösungsorientierter Umgang mit behördlichen Vorgaben, Aspekte zur Mobilitätswende einbeziehen oder ein ganzheitliches Vorgehen, um die Siedlungen altersgerechter zu gestalten, können dazu beitragen, dass diese durch Nachverdichtung an Gestaltungs- und Lebensqualität gewinnen sowie neuen Wohnraum schaffen.
„Das Schöne an Architektur ist, dass man sich etwas ausdenkt und am Ende kann man dort durchgehen“, sagt sie. Der sehr hohe Praxisanteil im Studium sei reizvoll, die Forschung müsse und werde aber immer wichtiger. „Das Beispiel meiner Dissertation zeigt gut, dass Praxis und Theorie nicht voneinander getrennt werden können.“