Düsseldorf, 24.09.2024 (PresseBox) – Hand aufs Herz: Wer erinnert sich noch an den Wohngipfel im September 2023? Zur Erinnerung: Die Ampel hatte damals einen umfassenden Programmentwurf vorgelegt, um das Wohnungsangebot in Deutschland zu erhöhen und dabei der Bau- und Immobilienwirtschaft unter die Arme zu greifen. Gegen die hohen Baupreise, die zu langsamen Bauprozesse und die schleppende Nachfrage wurde ein einziges Zauberwort angeführt, durch das die Bauwelt mit einem Schlag gleichsam zum Singen anheben sollte: BÜROKRATIEABBAU. Mit diesem Versprechen rannte sie bei den Verbänden der Branche erwartungsgemäß offene Türen ein. Passiert ist zunächst – wenig, doch immerhin sind erste Ergebnisse auf den Weg gebracht worden. Nach knapp einem Jahr ziehen wir ein erstes Resümee und gehen der Frage nach: Führt weniger Bürokratie zu mehr Bautätigkeit – oder kann Bürokratieabbau womöglich auch ein zweischneidiges Schwert sein?
Der Artikel kurz zusammengefasst:
Die Nachfrageschwäche hängt europaweit unmittelbar mit der Leitzinsentwicklung zusammen – und damit sind gezielte Gegenmaßnahmen schwierig. Ein weniger europäisches als vor allem speziell deutsches Problem scheint mit der Baupreisentwicklung gegeben, die sich von Inflation und Lieferengpässen längst entkoppelt zu haben und vor allem durch die zu normenlastigen, kostenintensiven und bürokratischen Prozesse verursacht zu werden scheint. Genau hier setzen die auf dem Wohngipfel beschlossenen Maßnahmen an. Der neue Gebäudetyp E soll Abhilfe schaffen, indem Vereinbarungen möglich werden sollen, den „anerkannten Stand“ der (DIN-normierten) Technik zu umgehen und so schnelleres und billigeres Bauen zu ermöglichen. Auch gesenkte Standards und Vereinfachungen bei den Genehmigungsvorschriften sollen Abhilfe schaffen. Als bundesweiter Vorreiter gilt Niedersachsen, wo bereits erste Vereinfachungen greifen. Da jedoch die bürokratischen Hindernisse bereits vor der derzeitigen Baukrise bestanden, stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen wirklich den gewünschten Erfolg bringen können.
Die Probleme am Bau sind vielschichtig, bürokratische Hürden gehören aber definitiv dazu
Die bremsende Wirkung bürokratischer Prozesse auf die Baukonjunktur sind unbestritten. So ist es mit Sicherheit nicht gerade ermutigend für Bauinteressenten, wenn Berichte darüber kursieren, dass manche Bauherren bis zu drei Jahre auf ihre Baugenehmigung hätten warten müssen – selbst, wenn es sich bei diesen Extrembeispielen um Einzelfälle handle, wie eingeräumt wird. Auch die Beantragung von Baugrundstücken – eine unverzichtbare Grundlage für den Neubau – kann bei manchen Gemeinden ein langer und zermürbender Prozess werden. Und dann sind da noch die Vorschriften –geschätzt an die 4.000 Normen und Vorgaben, die aus Gewährleistungsgründen zu beachten sind.=
Allerdings sind die vielbeklagten bürokratischen Hürden am Bau ein Problem, das Häuslebauern, Wohnungsunternehmen und dem Baugewerbe schon Kopfzerbrechen bereitete, als der Neubauboom noch wuchs und die Baukonjunktur gedieh. Zu Fall gebracht haben die Baunachfrage andere Ursachen: Zunächst die Materialengpässe im Nachgang der Coronakrise und dann die Energiekosten- und Inflationsanstiege infolge des Ukrainekonflikts.
Infolgedessen können sich viele zuvor noch potenzielle Eigentumserwerberhaushalte die eigenen vier Wände schlicht nicht mehr leisten – zumal die Banken ihre Risikobewertungen der neuen Situation angepasst haben und nun wieder mehr Eigenkapital als Sicherheit verlangen. Doch was kann der Gesetzgeber hier machen?
In der Kostenfalle: Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles
Nicht viel. Denn die Konjunkturschwäche der deutschen (und im Übrigen auch der europäischen) Bauindustrie ist nicht nur, aber doch wesentlich von der Leitzins-Erhöhung der EZB abhängig. Auch, wenn einige Konjunkturexperten dieses simple Ursache-Wirkung-Verhältnis als eine viel zu einfache Erklärung kritisiert haben (die obendrein für die Regierungen äußerst bequem sei, nach dem Motto: „Ich kann ohnehin nichts dagegen tun“): Dass dieser direkte Zusammenhang dennoch grundsätzlich besteht, zeigt schon der europaweite Abstieg des Genehmigungsindexes seit 2022 – weitgehend parallel mit der EZB-Inflationspolitik.
Auch die gestiegenen Baukosten waren ursprünglich ein europaweit zu beobachtendes Phänomen: Die globalen Verzögerungen und Engpässe bei den Lieferketten trafen alle Baumärkte ab Mitte 2021 und sorgten international für eine Beschleunigung des Baupreisanstiegs. Nun, da sich die Lieferengpässe weitgehend beruhigt haben, hat sich in vielen Ländern allerdings auch die Baukostenentwicklung beruhigt. In Deutschland ist das Baukostenniveau aber nicht nur immer noch hoch: Das Kostenkarussell dreht sich auch unbeirrt immer weiter.
Als Ursache für diesen deutschen Preissonderweg wird vor allem das immer komplexer gewordene Geflecht der DIN-Normen ausgemacht. Das ist zumindest die Position der Bauindustrie oder von baunahen Forschungsinstituten wie der ARGE Bau. Vieles werde mit High-End-Standards gebaut, weil es sonst keine Förderung mehr gebe, kritisiert die ARGE. Auch die Verbände der Bauindustrie und des Bauhandwerks kritisieren das Ende der Neubauförderung für die Gebäudeeffizienzklasse 55 und die seit 2022 geltende Fördergrenze ab einem Gebäudeenergiestandard der Klasse 40.
Allerdings ist sehr die Frage, ob wirklich Energie- und Umweltauflagen in erste Linie schuld daran sind, dass Bauen in Deutschland zu teuer und zu aufwendig geworden ist: Gerade im Bereich Gebäudetechnik werden die stärksten Kostenanstiege beobachtet. Zahlreiche Normen betreffen v. a. Sicherheits- und Brandschutzaspekte. Zudem ist der Hauptgrund, warum in Deutschland so normgerecht wie aufwendig gebaut wird, nicht unbedingt bei der (weiß Gott ebenfalls komplizierte und normenreiche) gesetzliche Gebäudeenergieregulierung, sondern v. a. beim Thema Gewährleistung zu suchen.
Ökologisches Bauen, Normenwut, zu viel Komfort – der Schwarze Peter wird hin- und hergeschoben
Etwa 400 Normen sind laut Angaben des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie in Deutschland als gesetzliche Mindestanforderung verankert. Doch es gibt weitere rund 3.600 Normen im Bauwesen, die zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, aber trotzdem als „anerkannter Stand der Technik“ definiert sind. Das bedeutet aber auch: Bauherren können bei Nichterfüllung solcher Normen im Schadens- oder Fehlerfall in der Regel mit Aussicht auf Erfolg klagen.
Für Bauträger, Schlüsselhausanbieter und Bauunternehmen ist es also schlicht zu riskant, Normen nicht zu erfüllen – daher wird lieber auf Nummer sicher gebaut – und daher, so die wachsende Zahl der Kritiker der normbasierten Bauweise, automatisch teurer.
Gebäudetyp E: pragmatischer Ansatz statt neuem Regelwerk
Um dem Baukostenanstieg und der Kritik der Bauwirtschaft Rechnung zu tragen, hat das Bundesbauministerium bereits auf dem Wohnungsgipfel einen neuen Ansatz versprochen und den Gebäudetyp E entwickelt. Anders als der Name sagt, handelt es sich hier nicht um einen neuen Gebäudetyp, sondern um die Ermöglichung eines bestimmten, bislang rechtlich nicht zulässigen Bauvertrags, in dem Bauherren explizit gegenüber den ausführenden Unternehmen zustimmen, dass ganz bestimmte Normen im fertigen Gebäude nicht erfüllt sein werden.
Die Bauindustrie ist erwartungsgemäß begeistert, doch TGA-Fachorganisationen fürchten einen allgemeinen Sicherheits- und Qualitätsverlust. Auch andere Gewerke haben sich bereits eher kritisch positioniert: So weist der Verband Tischler Schreiner Deutschland darauf hin, dass es sich bei dem in Normen seit der Kaiserzeit in Deutschland festgestellten „anerkannten Stand der Technik“ um Mindeststandards für die Sicherheit der Bewohner handle und keineswegs um unnötigen Komfort. Auch Verbraucherschutzorganisationen wie der Verband deutscher Bauherren wittert eher ein Einfallstor für ungestraften Pfusch am Bau als Abhilfe für kostengeplagte Bauherren.
Zudem wird unter Berufung auf Forschungsinstitute auch die Erwartung der Regierung bezweifelt, dass die Baukosten bei einem Gebäudetyp E-Projekt um 10 Prozent geringer ausfallen werden – wahrscheinlicher sei eine Reduzierung um bestenfalls 5 Prozent. Doch wie dem auch sei: Ohnehin muss zunächst noch das Bürgerliche Gesetzbuch geändert werden, damit der Gebäudetyp E überhaupt Wirklichkeit werden kann.
Ist der Gebäudetyp E ein versteckter Booster für das konventionelle Bauen?
Die Anhänger des Gebäudetyps E erhoffen sich davon jedenfalls nicht nur einfach einen Weg zu billigerem Bauen, sondern auch zu mehr Geschwindigkeit bei deutschen Bauprojekten (deren Dauer derzeit häufig zwei Jahre oder sogar mehr beträgt). Vor allem aber erhoffen sich die Befürworter und Initiatoren des Gebäudetyps E davon eine höherer Baunachfrage (da ja nun wieder günstigeres Bauen möglich sein soll).
Diese optimistische Sicht wird allerdings interessanterweise auch von Gebäudetyp E-Kritikern angeführt: Sollte der Gebäudetyp E für den erhofften Schub bei Bauaufträgen sorgen, könnte das gerade Bauunternehmen zugutekommen, die mit ihren etablierten „konventionellen“ Baumethoden auf dem Markt unterwegs sind – nur eben etwas schneller und weitaus günstiger. Und genau das könnte das Problem sein: Sollte der Gebäudetyp E eine Erfolgsgeschichte werden, könnte der Ausbau des seriellen Bauens darunter leiden.
Und damit genau die innovative Baumethode, deren Verbreitung die Regierung eigentlich massiv vorantreiben möchte, um sowohl schnelleres als auch ökologischeres Bauen voranzubringen. Somit würde zwar die Bau- und Kostenkrise für die Bauunternehmen durch den Gebäudetyp E gemildert, doch Serialität wäre als Bauprinzip weiter zur Nische verdammt. Doch so interessant dieses Gedankenspiel ist – sollte der Gebäudetyp E wirklich wie erhofft einen Baubooster und Kostensenkungen mit sich bringen, wird die Branche sich kaum beschweren.
Weniger Vorschriften und Verpflichtungen: Führt das Niedersachsen in den Bauboom?
Ein weiteres Versprechen auf dem Baugipfel waren bundesweit geltende Baugesetzgebungen (statt dem vielstimmigen Vorschriftenwirrwarr je nach Bundesland) und damit einhergehend gleich eine bundesweite Vereinfachung, Beschleunigung und Erleichterung der behördlichen Prozesse. Davon ist nun wiederum noch nichts zu sehen. Doch aufhorchen lassen zumindest die ersten Effekte der vereinfachten Genehmigungs- und Bauvorschriften durch die Landesregierung Niedersachsen:
Vereinfacht wurden u. a. die vorgeschriebenen Grenzabstände, sodass Gebäude größer gebaut werden können. Zudem wurden der Ausbau von Dachgeschossen oder die Aufstockung von Gebäuden erleichtert und die Pflicht wurde gestrichen, dass beim Wohnungsbau gleichzeitig Autostellplätze geschaffen werden müssen.
Auch, wenn die Bauverbände bereits von einer echten „Blaupause“ für die Bauvorschriften der übrigen 15 Bundesländer schwärmen und davon berichten, wie etliche behördlich verursachte Zusatzkosten durch die neue niedersächsische Regelung erfolgreich reduziert werden können: Bei einer Betrachtung der niedersächsischen Genehmigungsresultate lässt sich im Wohnungsbau leider noch kein Effekt feststellen. Denn wo es generell aufgrund niedriger Verbraucherkaufkraft und hoher Zinslast noch keine verstärkte Nachfrage gibt, kann diese auch nicht durch Erleichterungen bei den Vorschriften gefördert werden.
Immerhin lässt sich in einigen Segmenten im Nichtwohnungsneubau wie z. B. im Hotelbau in Niedersachsen zuletzt eine Belebung der Genehmigungstätigkeit beobachten, die mit den vereinfachten Regulierungen durchaus zu tun haben könnte. Das bestätigt das Potenzial und die Hoffnungen, die die Bauwirtschaft mit der Verringerung der bürokratischen Hürden verbindet. Sobald die Nachfrage da ist, wird die niedersächsische Baukonjunktur also womöglich schneller in Gang kommen als in den (noch?) bürokratisch umständlicher agierenden Nachbarländern.