Rohrdorf, 22.02.2024 (lifePR) – Die Karte der Streuobstwiesen in Deutschland bekommt immer mehr Lücken. Auch für Streuobstbestände mit Bio-Zertifizierung wachsen die Herausforderungen. Änderungen der EU-Bio-Verordnung ab dem Jahr 2024 im Bereich „Bio-Pflanzgut“ und „Beweidung von Bio-Flächen mit konventionellen Weidetieren“ machen Bio-Streuobst immer schwieriger. Praktikable Lösungen helfen beim Erhalt.
Mit dem Ziel 30 % Bioerzeugung stellt Deutschland den Stellenwert einer ökologisch nachhaltigen Bewirtschaftung heraus. Mit dabei: biozertifizierte Streuobstflächen. Die aktuellen Änderungen der EU-Bio-Verordnung hinsichtlich der Beschaffung von Pflanzgut für Bio-Flächen und der Beweidung von Bio-Flächen stellen Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter allerdings vor immer größere Herausforderungen. Ein gemeinsames Kompendium von Hochstamm Deutschland e.V., dem Pomologen-Verein e.V. und dem Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg e.V. (LOGL) informiert und bietet Handlungsempfehlungen (https://www.hochstamm-deutschland.de/…).
Fehlende Bio-Baumschulen
Wollen Streuobstbewirtschafter neue Flächen anlegen bzw. Bäume nachpflanzen gilt nach der Bio-Verordnung für zertifizierte Betriebe: Sie müssen auf biozertifizierten Streuobstflächen Bio-Jungbäume verwenden. Klar ist aber auch: Nur vitale, kräftige und vor allem an den jeweiligen Standort angepasste Sorten und Jungbäume sind in der Lage, zu großkronigen Obstbäumen heranzuwachsen, das Landschaftsbild zu prägen und die ökologischen Funktionen von Streuobstwiesen zu erfüllen. Der Streuobstanbau ist regional ausgerichtet und als Immaterielles Kulturerbe praktizierte Sortenerhaltung. Diese wird durch die aktuelle Biopflanzgutregelung immer schwieriger.
Aktuell ist ein Bezug von Bio-Obstbäumen aus der jeweiligen Region kaum möglich: Zertifizierte Bio-Baumschulen und damit regional angepasstes Pflanzgut fehlen in vielen Regionen. Der finanzielle und organisatorische Aufwand für Baumschulen zur Umstellung auf eine zertifiziert ökologische Bewirtschaftung ist groß, daher scheuen viele diesen Schritt.
Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter sind dadurch oft gezwungen – wollen sie die Vorgaben der aktuellen EU-Bio-Verordnung einhalten – ihre Jungbäume aus anderen Klimaregionen zu beziehen. Es entstehen hohe Kosten, weite Transportwege und nicht zuletzt häufig hohe Mindestabnahmemengen. Ausschließlich lokal vorkommende, an den jeweiligen Standort angepasste Obstsorten erhalten Streuobstbetriebe bei fernerliegenden Baumschulen selten. Viele Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter von Streuobstflächen bedauern zudem die immer wieder unzureichende Qualität der überregional gelieferten Pflanzware. Sie sind damit gezwungen, sich aufgrund des überschaubaren Sortenangebots für weniger geeignete Sorten zu entscheiden.
Keine konventionellen Weidetiere auf Streuobstflächen
Schafe, Ziegen, Rinder – traditionell sorgen Weidetiere dafür, dass Gras und Kräuter in großer Vielfalt auf der Streuobstwiese gedeihen. Weidetierhaltung ist eine der schonendsten Formen der Pflege von Streuobstwiesen und schafft zusätzliche Biodiversität. „Nebenbei“ entstehen ein Zusatzeinkommen durch hochwertiges Fleisch, ein schönes Landschaftsbild durch Weidetiere und die Weidetierhaltung erfüllt sowohl die hohen Erwartungen der Gesellschaft ans Tierwohl wie auch an die Artenvielfalt. Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschafter kooperieren häufig mit tierhaltenden Betrieben oder halten selbst Weidetiere. Sie erleichtert den Ehrenamtlichen die Grünlandpflege, während die Tiere Gras zu hochwertigem Fleisch veredeln.
Auf Bio-Streuobstflächen sind laut Verschärfungen der EU-Bio-Verordnung in Zukunft ausschließlich Bio-Weidetiere vorgesehen. Fehlen diese in der näheren Umgebung bzw. ist eine Beweidung mit konventionell gehaltenen Weidetieren nicht mehr möglich, sehen sich Streuobstakteuren erheblichen Mehrkosten und entsprechendem Aufwand gegenüber. Sie müssen Mähgeräte beschaffen, Treibstoff- und Wartungskosten tragen sowie ihre eigene Arbeitskraft und Zeit in Mähen und Bergen des Schnittguts stecken. Die Arbeit der oft ehrenamtlich tätigen Akteure wird erschwert, Flächen werden potenziell „aus der Nutzung“ genommen.
Was ist zu tun?
Streuobst ist kein Museum. Diese einmalige, lebendige und menschengemachte Kulturlandschaft funktioniert nicht als Ausstellungsstück eines Ausschnitts aus der Vergangenheit. Zumal Museen und Ausstellungsstücke vollständig auf Finanzierung der Gesellschaft angewiesen sind. Der Erhalt von Streuobst ist auf die Bewirtschaftung durch engagierte Streuobstakteure angewiesen. Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt einen Erhalt der wertvollen Flächen vor. Die zertifizierte ökologische Bewirtschaftung von Streuobstflächen leistet mit den höheren Auszahlungspreisen für Bio-Mostobst einen Beitrag zum Erhalt. Folgende Maßnahmen erleichtern Streuobstbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern ihre oft ehrenamtliche Arbeit:
• Ausnahmeregeln für Pflanzgutbeschaffung: Die bestehenden Ausnahmen für Streuobst-Pflanzgut werden mit der Verschärfung der EU-Bio-Verordnung ab 2024 weiter eingeschränkt. Gemäß der Kernobstregelung gilt die Vorbestellpflicht nur dann nicht, wenn maximal 50 Hochstamm-Bäume je Sorte, Jahr und Betrieb erworben und gepflanzt werden. Die Verfügbarkeit von Bio-Pflanzgut muss aber vorher geprüft werden. „Ausnahmeregelungen“, wie beispielsweise hier für Hochstammpflanzungen, sind keine verlässliche Basis und immer mit großem bürokratischem Aufwand verbunden. Diese Regelung muss verbindlich und dauerhaft erhalten bleiben.
• Höhere Förderung für den Erwerb von Bio-Pflanzgut: Die Umstellung der regionalen Baumschulen auf eine zertifizierte Bio-Erzeugung ist teuer. Entsprechend steigen die Kosten für Bio-Pflanzgut. Damit das dringend notwendige Nachpflanzen von regionaler Bio-Streuobstsorten erschwinglicher wird und der „Bio-Biodiversitäts-Hotspot“ Streuobstwiese erhalten bleibt, muss der Erwerb von Bio-Pflanzgut stärker gefördert werden.
• Regionalität fördern: Kleinstbaumschulen und regionale Initiativen müssen bei der Erzeugung von regional angepasstem Bio-Pflanzgut unterstützt werden.
• Ausnahmeregelungen bei der Beweidung beibehalten: Die Beweidung von Streuobstflächen ist der traditionelle „Goldstandard“ der Bewirtschaftung und hilft, Streuobst aktiv zu erhalten. Konventionelle Weidetiere „schaden“ Bio-Streuobstwiesen und den Streuobstprodukten nicht. Die Ausnahmeregelung muss erhalten bleiben. Die Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter von Bio- Streuobstflächen benötigen Unterstützung, große Flächeneinheiten zu organisieren und gemeinsam zu beweiden.
Nur wo „100 % Bio“ drin ist, darf auch „Bio“ drauf stehen. Dieser Standard muss gewahrt bleiben und gilt auch für Streuobst. Die aktuellen Verschärfungen der Bio-Richtlinie schießen aber deutlich über das Ziel hinaus. Vor weiteren Änderungen oder Verschärfungen müssen die Betroffenen für sinnvolle und vor allem praktikable Lösungen beteiligt werden.